Der Elektronikmusiker Richard Barrett und die Harfenistin Milana Zarić gehen in ihrer künstlerischen Zusammenarbeit davon aus, dass Improvisation als eine Kompositionsmethode verstanden werden kann und dass viele Eigenschaften, die eigentlich der Komposition zugeschrieben werden, auch auf Improvisation zutreffen und vice versa. In der 26. Ausgabe unserer Sound & Lecture-Reihe mit dem Titel Strategies of Collaborative Creation veranschaulichen sie diesen Gedanken praktisch in einem Konzert und sprechen darüber in einem von Mathias Maschat moderierten Künstlergespräch.
Eine der Implikationen, die sich aus der Betrachtung von Improvisation als Kompositionsmethode ergeben, ist, dass Improvisation auf vielfältige Weise mit anderen Methoden kombiniert werden kann, um die Voraussetzungen für neue musikalische Möglichkeiten zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist das Konzept der ‚seeded‘, also ‚gesetzten Improvisation‘, bei der die Interpreten frei zwischen ‚festem‘ (notiertem oder voraufgezeichnetem) Material und spontanen Aktionen und Reaktionen wechseln. Anstelle des üblichen Modells, das von dem Paradigma der Partitur ausgeht, die für improvisatorische Freiheit ‚geöffnet‘ wird, wird hier die freie Improvisation als Ausgangspunkt genommen, innerhalb deren eine kompliziert notierte Partitur strukturelle und expressive Schwerpunkte setzt, die die Improvisation beeinflussen, ohne sie in irgendeiner Weise zu bestimmen. Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung von Gemeinschaftskompositionen durch die ‚Filter‘ verschiedener Methoden, wie z. B. aufgenommene Harfenimprovisationen, die das Material für ein elektronisches Stück mit Zuspiel bilden, das dann für die Live-Performance sowohl für Harfe und Elektronik als auch für zwei (akustische) Harfen neu interpretiert wird, wobei das Ergebnis wiederum durch verschiedene Improvisationsstrategien sowohl im Konzert als auch im Studio weitere Transformationen in verschiedene Formen erfahren kann. Diese Strategien sind natürlich keineswegs Selbstzweck, sondern erhalten ihre Bedeutung erst durch die musikalischen (strukturellen oder poetischen) Erfahrungen, die sie ermöglichen.
Die Harfenistin Milana Zarić ist gleichermaßen in klassischer, zeitgenössisch komponierter, experimenteller und frei improvisierter Musik aktiv und verbindet kreative Performance mit aktueller Sensibilität und neuen Technologien. Sie ist Soloharfenistin des Belgrader Philharmonischen Orchesters, Solo- und Kammermusikerin, spezialisiert auf zeitgenössisches Harfenrepertoire, künstlerische Leiterin des Ensemble Studio 6, Kuratorin und Pädagogin. Sie ist Initiatorin zahlreicher internationaler Projekte mit dem Ziel, neue Brücken für gemeinsames Schaffen zu schlagen. Ihr Repertoire ist vielfältig und umfasst Werke der Klassik und des 20. und 21. Jahrhunderts, freie Improvisation und originäre Projekte mit Komponist*innen, Klangkünstler*innen und kreativen Musiker*innen.
Richard Barrett ist international als Komponist und Performer tätig, lehrt am Institut für Sonologie in Den Haag und ist Professor für kreative Musikforschung an der Universität Leiden. Seine Arbeit reicht von freier Improvisation bis zu aufwendig notierten Partituren, von akustischer Kammermusik bis zum innovativen Einsatz digitaler Technologien. Zu seinen aktuellen Projekten gehören ein großer neuer Werkzyklus für das ELISION Ensemble, mit dem Richard Barrett seit 1990 regelmäßig zusammenarbeitet, sowie für das Fonema Consort, die Musikfabrik und die Soundinitiative. Seine Arbeit als Komponist und Interpret ist auf über vierzig CDs dokumentiert. Seine Bücher Music of Possibility (2019) und Transforming Moments (2023) sind bei Vision Edition erschienen.