„Meine Arbeit entsteht im Spannungs- und Resonanzfeld von Körper, Klang, Zeichnung, Innen- und Aussenraum, zwischen den Disziplinen, digitalen und analogen Medien, Orten, Kontinenten – immer zwischen Menschen.“ (Charlotte Hug)
„Wenn man in einer Gruppe spielt, müssen alle ihre Wahrnehmungen in Resonanz zueinander bringen.“ (Lê Quan Ninh)
Den Auftakt zu dem Symposium: Improvisation und Resonanz bildet als 27. Ausgabe der Sound & Lecture-Reihe des exploratorium eine Performance der Bratschistin, Vokalistin und Trägerin des Schweizer Musikpreis 2025 Charlotte Hug gemeinsam mit dem Perkussionisten Lê Quan Ninh. Sie sind gleichermaßen Koryphäen der freien Improvisation und haben durch ihre eigenständige und unverwechselbare Sprache Maßstäbe gesetzt. Beide sind nicht nur herausragende musikalische Persönlichkeiten – sie haben ebenso mit ihren luziden Ideen zu Improvisation inspirierende Anker für die Beschäftigung mit Improvisation gesetzt. Nach der Performance geben sie im Künstler*innen-Gespräch mit Mathias Maschat Auskunft über ihre Praxis sowie ihre Gedanken im Hinblick auf Resonanz und Improvisation.
Aus der Beschäftigung mit Hartmut Rosas Resonanz-Begriff bezog Charlotte Hug wesentliche Inspiration für ihre künstlerische Arbeit. Als entscheidend beim Improvisieren erachtet sie, sich in eine „offene Haltung der Resonanzbeziehungen“ zu begeben. Resonante Beziehungen geht sie dabei nicht nur mit anderen Menschen, sondern auch mit Umwelt überhaupt ein, spezifischer mit starken Orten der Natur wie Gletschern oder Urwäldern. Resonanz ist für sie dabei niemals stabil, sondern vielmehr als ein fortwährender Veränderungsprozess zu begreifen. Unverfügbarkeit und Transformation als wesentliche Charakteristika von Resonanz gelten ihr als Grundbedingungen für ihre „gelungensten und beglückendsten Improvisationen“. Nicht zuletzt trägt ihr im April 2025 erschienenes Solo-Album den paradigmatischen Titel In Resonance With Elsewhere.
Auch Lê Quan Ninh spricht davon, dass in einer Gruppenimprovisation alle ihre Wahrnehmung aufeinander abstimmen, ja „in Resonanz aufeinander bringen“ müssen. Der Grad an Offenheit einer solchen kollektiven Herangehensweise ist entscheidend für die Realisierung größtmöglicher Freiheit und für die Intensivierung der Wahrnehmungen aller. Außerdem ist für Lê Quan die Interaktion mit den resonanten Qualitäten seines Instrumentariums von zentraler Bedeutung. In einem ganz basal-akustischen Verständnis von Resonanz sagt er, man müsse „die Schwingung lieben und sie nicht nur denken“: „Eine Welle verfängt sich, und sei es auch nur für einen Augenblick, als ob man Poet werden würde, das heißt dazu imstande, in sich genug Tore zu öffnen, um sie mit voller Kraft zu empfangen.“
Charlotte Hug erlangte Studienabschlüsse in Musik und Bildendender Kunst, gewann verschiedenste Auszeichnungen (zuletzt den Schweizer Musikpreis 2025) und Künstler*innen-Residenzen in Berlin, Paris, London, Johannesburg und Shanghai, war Artiste Etoile am Lucerne Festival und wurde 2019 für den Classic:Next-Innovation Award nominiert. Hugs Musik ist auf einer umfangreichen Diskographie dokumentiert, unter anderem mit Elliott Sharp, Maggie Nicols, Lucas Niggli, mehrere CDs mit dem London Stellari String Quartet, eigenen Chor und Orchesterwerken sowie vier Solo-CDs auf internationalen Labels. Hug ist langjähriges Mitglied des London Improvisers Orchestra, entwickelte offene Konzepte für das LIO und arbeitete mit verschiedenen „Improvisers Orchestras“ wie dem KIO in Krakau oder dem SPIO in São Paulo. Ihre Werke und Raum-Partituren werden gespielt von internationalen Ensembles, Chören und Orchestern sowie interdisziplinären Ensembles. Nebst Ausstellungen in Galerien und Museen führt sie ihre rege Konzerttätigkeit als Improvisatorin, Solistin mit Stimme und Viola, Komponistin oder Dirigentin ihrer eigenen Werke an maßgeblichen Festivals in Europa, Nord- und Lateinamerika, Kanada, Südafrika, Russland und China.
Lê Quan Ninh ist klassisch ausgebildeter Schlagzeuger, der seit den frühen 1980er-Jahren zwischen zeitgenössischer Musik und freier Improvisation tätig ist. Als Gründungsmitglied des renommierten Schlagzeugquartetts Hêlios (1986–2012) arbeitete er mit zahlreichen Komponist*innen zusammen, darunter Georges Aperghis, Vinko Globokar und Kaija Saariaho. 2006 gründete er mit der Cellistin Martine Altenburger das Ensemble ]h[iatus, dessen Mitglieder zugleich Interpret*innen und Improvisator*innen sind. Ninh engagiert sich ehrenamtlich im künstlerischen Beirat des Festivals Le Bruit de la Musique und der Association Ryoanji, die sich der Verbreitung zeitgenössischer Musik widmen. Er ist ein gefragter Improvisator, spielte in festen Formationen etwa mit Peter Kowald, Michel Doneda oder Daunik Lazro und ist aktuell im Trio Krči+N mit Loris Binot und Émilie Škrijelj aktiv. Eine enge Verbindung pflegt er zur Tanzszene. Im Herbst 2024 erschien La Voie Négative, die erweiterte, zweisprachige Fassung seiner Texte zum Improvisieren. Seit Juni 2024 ist er Präsident des Vereins Sonatura, der französischsprachige Audio-Naturforscher zusammenbringt.
19:00: soundwalk mit Thomas Gerwin