„Ein allzu kleiner Teil improvisierter Musik überlebt die Aufnahmen. […] [Weitaus] bedeutender als die Einschränkungen durch die Technologie ist der Verlust der Atmosphäre im Aufnahmeprozeß. Es geht das musikalische Environment der Darbietung verloren […], die eine der Hauptkräfte der Improvisation ist.“ (Derek Bailey)
„Ihre Bewahrung ist bei der Improvisation noch wertvoller, da der kreative Akt in der Zeitspanne der Aufführung und nur in dieser Zeitspanne existiert.“ (Gilles Mouëllic)
Improvisierte Kunst lebt entscheidend von dem gemeinsamen Erleben des Geschehens in spezifischen Räumen und Situationen in Echtzeit. Attribuiert werden ihr als Eigenschaften ihre Unmittelbarkeit und eine auratisierte Qualität von Liveness. Temporale und spatiale Ko-Präsenz sowie die Einbeziehung jeglicher Aktanten vor Ort – die besondere Zusammensetzung der Performenden, das Publikum, der Raum, das Licht, die Akustik, die Atmosphäre etc. – gelten als wirkmächtige Konstituenten der Prozessgestaltung. Was lässt sich davon hinüberretten in eine Sphäre des Medialen? Kann die Aufnahme einer Improvisation diese angemessen repräsentieren?
Oft wurde gesagt, Aufnahmen improvisierter Musik seien defizitär oder gar der Kunstform unangemessen; man müsse dem Prozess ihrer Entstehung live beiwohnen und ihn unmittelbar erleben. Auch Derek Bailey machte in seinem Buch Improvisation. Its Nature and Practice in Music deutlich, dass „es […] etwas Zentrales im Geist spontaner und absichtsvoller Improvisation [gebe], das den Zielen ihrer Dokumentation entgegensteht und der Idee ihrer Dokumentation sogar widerspricht“. Auch wenn Bailey sich primär auf akademische Analyse und auf Audioaufnahmen bezieht, können seine Aussagen ebenfalls stellvertretend als eine Kritik audiovisueller Reproduktion gelesen werden. Doch wo wären wir heute – bei aller Differenz zwischen Präsenz und Repräsentation – ohne die Möglichkeiten filmischer Dokumentation? Wo wären wir ohne die Aufnahmen improvisierter Ereignisse und welche Schätze würden uns nicht vorliegen, die ansonsten für immer dem kulturellen Gedächtnis entschwunden wären?
Skeptische Einstellungen gegenüber dem Aufnahme- und Dokumentationsprozess scheinen sich in unserer umfassend medialisierten Welt ohnehin weitgehend verloren zu haben. So hat die Allgegenwart und Selbstverständlichkeit audiovisueller Repräsentationen von Ereignissen auch die improvisierten Künste erfasst. Doch wie kann die Übersetzung eines Live-Ereignisses in das Medium des Films gelingen? Wie verändert sich das Live-Ereignis dadurch? Welche Möglichkeiten bestehen aus dem Medium Film heraus, selbst improvisatorisch zu agieren und in der eigenen Formsprache Momente des Abgebildeten in besonderer Weise ästhetisch einzufangen oder zu transformieren? Können aus der Interaktion zwischen Improvisation und dem Medium Film ganz eigene künstlerische Formen entstehen? Welche Momente des Improvisatorischen erzeugen im Film ästhetische Charakteristika, die auf einer anderen Ebene inhaltlich wie formal Bedeutungen transportieren? Welche Möglichkeiten des kreativen Umgangs bestehen in der bewussten Auseinandersetzung mit der Differenz der gefilmten Improvisation zu ihrer medialen Entsprechung? Welchen Einfluss kann die Praxis der Dokumentation rückwirkend auf eine Improvisation haben? Was für ein künstlerisches Potential bietet die unmittelbare Einbeziehung filmischer Ebenen in improvisierte Performances? Diese und weitere Fragen werden in dem Symposium zur Sprache gebracht und anhand von Beispielen diskutiert.
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Opening Event: Sound & Lecture N° 25: Film – Sound – Improvisation
Zur Eröffnung des Symposiums freuen wir uns, die Stummfilmpianistin Eunice Martins begrüßen zu dürfen. Zusammen mit einem Quartett ihrer Wahl (Simon Berz, Cecilia Caroline Tallone und Eric Wong) wird sie zu insgesamt fünf experimentellen Stummfilmen vor allem aus den 1910er bis 1920er Jahren improvisieren, gefolgt von einem Gespräch mit Gastgeber Mathias Maschat.
Anmeldung:
Das Symposium am 1. und 2. Februar 2025 ist für die Öffentlichkeit zugänglich und kostenlos (auf Spendenbasis). Um teilzunehmen, melden Sie sich bitte bis zum 26. Januar 2025 an. Ihre Anmeldung wird so schnell wie möglich bestätigt.
Bitte senden Sie Ihre Anmeldung per E-Mail an Mathias Maschat:
mm@exploratorium-berlin.de
Das Opening Event am 31. Januar 2025 ist nicht inbegriffen und wird für Symposiumsbesucher*innen, die nicht aktiv beitragen, zu einem reduzierten Preis angeboten. Eine zusätzliche Anmeldung für das Opening Event über das Formular auf unserer Website wird ebenfalls empfohlen.